In die militärischen Erfolgsmeldungen im Kampf gegen die Islamisten in Mali mischen sich schwere Vorwürfe gegen die malische Armee. Menschenrechtler und Einheimische beschuldigen die Streitkräfte, Araber und Tuareg hingerichtet zu haben. Ethnische Gruppen haben Angst. Rufe nach einer Untersuchung der Vorfälle werden lauter.
Von Alexander Göbel, ARD-Hörfunkstudio Nordwestafrika
Oumou Sall Seck ist Bürgermeisterin von Goundam, unweit von Timbuktu. Sie ist froh, dass die französischen Truppen gemeinsam mit der malischen Armee nun die sagenumwobene Stadt der 333 Heiligen von den Islamisten zurückerobern wollen. Doch Sall Seck hat große Angst. Nicht nur vor den Dschihadisten, sondern auch vor ihren eigenen Landsleuten.
Sie ist ein Mischling, der Vater vom Volk der Peul, die Mutter Tuareg – und Menschen wie ihr begegnet man in diesen Zeiten mit großem Misstrauen. „Malis Armee darf die Menschen im Norden nicht unter Generalverdacht stellen, sie nicht mit den Islamisten in einen Topf werfen, nur weil sie eine hellere Haut haben“, sagt die Bürgermeisterin. „Manchen Peul schneidet man hier mittlerweile die Kehle durch, nur weil das Gerücht kursiert, dieser oder jener habe mit den Islamisten Geschäfte gemacht – das ist doch nicht mehr normal!“
Angst vor einem Bürgerkrieg
Oumou Sall Seck ist eine resolute Frau – doch sie hat Angst vor einem Bürgerkrieg, ja, sogar vor ethnischen Säuberungen. Und ihre Angst wird durch Berichte genährt, mit denen Menschenrechtsgruppen jetzt an die Öffentlichkeit gehen.
„Wir haben Aussagen von Zeugen gesammelt, die von etwa 30 Hinrichtungen berichten“, sagt Florent Geel, Sprecher der Internationalen Vereinigung für Menschenrechte, FIDH, in Bamako. Die FIDH überprüfte diese Aussagen und trug weitere Details zusammen – und könne nun beweisen, so Geel, „dass in der Gegend von Sévaré tatsächlich solche Hinrichtungen stattgefunden haben. Dass die Täter zu den malische Truppen gehören – und dass vor allem ethnische Gruppen wie die Tuareg zur Zielscheibe geworden sind.“
Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer
Den Berichten zufolge sollen malische Soldaten auf ihrem Vormarsch in Sévaré, Niono und anderen Orten Menschen hingerichtet haben. Entweder weil sie den Verdacht hatten, dass diese für die Islamisten arbeiteten, dass sie im Besitz von Waffen gewesen seien oder weil sie schlicht einer verdächtigen Volksgruppe angehört hätten. Einige Leichen seien eilig verbrannt, andere in einen Brunnen geworfen worden. Die malische Armee bestreitet die Vorwürfe vehement – und hindert offenbar nun die Medien daran, über die Vorfälle zu berichten.
„Die Tuareg sind unsere Freunde“
In Mali, so scheint es, bestätigt sich derzeit die alte, bittere Weisheit, dass im Krieg die Wahrheit das erste Opfer ist. Beunruhigt zeigte sich jedenfalls Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian im französischen Fernsehen: „Wir müssen da extrem wachsam sein – und Frankreich erwartet, dass die malische Armee ihrer Verantwortung gerecht wird, um jedwede Menschenrechtsverletzung zu vermeiden. Auf dem Spiel steht nicht weniger, als ihre Ehre“, so Le Drian. „Abgesehen von denjenigen, die mit den Islamisten den malischen Staat bekämpfen, sind die Tuareg unsere Freunde. Sie sind Malier wie alle anderen auch – und es gilt, sie zu respektieren.
Es geht ein tiefer Riss durch Mali
Inzwischen werden die Rufe nach Aufklärung immer lauter. Menschenrechtsorganisationen wie FIDH oder Human Rights Watch verlangen UN-Beobachter und fordern, der Internationalen Strafgerichtshof müsse den Vorwürfen nachgehen. Die für humanitäre Hilfe zuständige EU-Kommissarin Kristalina Georgieva sagte, Berichte über „ethnische Kämpfe und aus Rache verübte Übergriffe“ seien „sehr besorgniserregend“.
Die Angst vor den Übergriffen zeigt: Es geht ein tiefer Riss durch Mali. Der Kampf gegen die Islamisten droht die Fugen des Vielvölkerstaats zu sprengen. Deswegen wird Oumou Sall Seck, die tapfere Bürgermeisterin von Goundam, nicht müde, weiter an die Regierung in Bamako zu appellieren: „Ich denke, Malis Armee darf nicht einfach jeden rekrutieren, der eine Waffe tragen kann“, sagt sie. „Man darf niemanden zum Soldaten machen, der bloß Geld verdienen oder töten will. Es geht um unsere Verteidigung und Sicherheit.“
„Wir brauchen Versöhnung!“
Aber, so Sall Seck, man müsse ohnehin langfristig denken: „Wir brauchen Dezentralisierung, wir brauchen einen politischen Dialog, wir brauchen Versöhnung!“ Die Malier untereinander müssten zusammenfinden, sagt die Bürgermeisterin. „Das ist sehr schwer, aber es ist nicht unmöglich.“
Quelle: tagesschau.de; http://www.swr.de/nachrichten/-/id=396/nid=396/did=10901860/1mia5e9/index.html