B. Schmid: die Desillusionierung dominiert in Mali

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13.09.2014

Die korruptionsanfällige Regierung hängt am Gängelband des IWF sowie anderer Kreditgeber und kann sich bei Verhandlungen mit bewaffneten Gruppen nur schlecht durchsetzen

Präsident François Hollande scheint sich gern an Kriegsschauplätzen zu zeigen. Ende dieser Woche hielt er sich im Irak auf, um einen Beitrag Frankreichs zur internationalen Koalition gegen den so genannten „Islamischen Staat“ der Dschihadisten des selbsternannten „Kalifen“ Al-Baghdadi anzukündigen. Im vergangenen Jahr war es Mali, wo Hollande sich feiern lassen konnte, im Kontext des französischen Militäreinsatzes gegen die Dschihadisten, die 2012 die Nordhälfte Malis besetzt hatten.

An François Hollandes Charakter dürfte es nicht liegen, gilt der Mann seinen Kritikern doch weitaus eher als harmoniebesoffen denn als streitsüchtig – sein Spitzname lautet seit Jahr und Tag „Flamby“, nach der Produktbezeichnung eines Weichpuddings. Hält Hollande sich also persönlich in Krisengebieten und Brennpunkten auf, dann eher deswegen, weil er zu Hause inzwischen einen dermaßen schlechten politischen Stand hat, dass vor allem Auslandseinsätze und politisch-militärische Interventionen es ihm noch erlauben, sich zu profilieren.

Die satirische Puppensendung des TV-Sender „Canal +“, Les Guignols de l’info, spottete dazu am gestrigen Freitag: „Es ist ein archimedisches Gesetz: Jeder Körper, der in der Sch… steckt, erhält Auftrieb, indem er sich auf die internationale Ebene begibt…“ Auch sein Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy kannte diese Form der politischen Flucht nach vorn, indem er sich 2011, im schwierigsten Jahr seiner Amtszeit, durch den Libyeneinsatz und seinen Aufenthalt in Tripolis profilierte.

Betrachtet man sich den Zustand Libyens heute, erscheint dieser Abschnitt der jüngeren Geschichte nicht unbedingt als positive Referenz und Erfolgsstory. Allerdings sollte man sich auch vor Kurzschlüssen und unzulässigen Vergleichen hüten. Die Schauplätze internationaler Konflikte und Interventionen lassen sich nur bedingt miteinander gleichsetzen, und die jeweilige Eigendynamik der Auseinandersetzungen vor Ort kann sehr unterschiedlich ausfallen.

Dschihadisten in Mali

Generell lässt sich durchaus sagen, dass die Mehrheit der Bevölkerung Malis es grundsätzlich mit Erleichterung registrierte, als die Dschihadisten 2013 aus den Städten im Norden und im Zentrum des Landes vertrieben wurden. Anders als in manch‘ anderen mehrheitlich muslimisch geprägten Ländern, wo Islamisten oder Dschihadisten von Teilen der Bevölkerung als „Widerstandskämpfer“ wahrgenommen werden – gegen westliche Besatzungsmächte wie die Taliban in Afghanistan, oder als Kämpfer gegen ein autokratisches Regime wie in Libyen oder Syrien -, war diese Wahrnehmung in Mali kaum verbreitet.

Hauptstadt Bamako; Bild: Arensond; gemeinfrei

In diesem Land der Sahelzone erinnert man sich an die Dschihadisten vorwiegend als Urheber von öffentlich vollzogenen – oder mitunter, wie 2012 in Gao, durch einen Massenauflauf der ortsansässigen Bevölkerung verhinderten – Amputationen und Züchtigungsstrafen. Eine Besonderheit der Situation liegt darin, dass Mali auf eine Geschichte, und im Norden zum Teil noch Gegenwart, als sklavenhaltende Gesellschaft zurückblickt.

Eine NGO von Schwarzen aus Nordmali namens Temedt forderte erst jüngst, bei einer Pressekonferenz im Internationalen Konferenzzentrum von Bamako am 14. August dieses Jahres, die definitive Abschaffung der Sklaverei. Aufgrund der Tatsache, dass die in der Sahelzone und besonders in Mali seit einigen Jahren aktiven Dschihadisten oft „Hellhäutige“ waren, etwa aus dem früheren Bürgerkriegsland (zwischen 1993 und 1999) Algerien herübergewanderte bewaffnete Islamisten, konnte sich die Mehrheit der Bevölkerung Malis nicht mit ihnen identifizieren.

In ihren Augen riefen die Dschihadisten eher Erinnerungen an die frühere arabisch-berberische Sklaverei wach. Zwar gibt es auch einheimische westafrikanische Dschihadisten, und in dem zu 85 Prozent muslimischen Land mit laizistischer Staatsverfassung teilt eine Minderheit der Bevölkerung ihre „Ideale“. Doch die Mehrheit der Malier nahm und nimmt die bewaffneten Islamistenbewegungen als „Eindringlinge“ wahr. Dies ist ein gewichtiger Unterschied etwa zu Afghanistan, wo die Taliban in der zahlenmäßig Bevölkerungsgruppe der Paschtunen verankert sind.

Die hellhäutigeren Bevölkerungsgruppen in Nordmali, wie die Tuareg und in geringerem Ausmaß die Araber im Raum Timbuktu, hielten in der Vergangenheit Sklaven, die sich um die Abfertigung der Karawanen und die Hausarbeit kümmerten. Natürlich nicht alle Tuareg, sondern ihre Oberklassen, im Rahmen einer strikt hierarchisierten Kastengesellschaft.

Die Handelsrouten für Kokain aus Südamerika

Zwar hat die Modernisierung, und die weitgehende Ersetzung von Karawanen durch LKWs, heute auch im Norden Malis die alte Gesellschaftsordnung durcheinander gewirbelt. Doch die alten Oberklassen haben neue Betätigungsfelder in der lebensfeindlichen Umgebung der Halbwüste und Wüste Nordmalis gefunden. Aufgrund der Tatsache, dass viele Schmugglerrouten durch diese Regionen führen, wird mit Waffen, Benzin, unverzollten Zigaretten und seit einigen Jahren (ab 2003) auch mit Geiseln gehandelt.

Vor allem aber führt die Route des Kokains aus Südamerika, das mit Schnellbooten in den mafiadominierten Küstenländern Westafrikas – wie Guinea-Bissau – angelandet wird und für den Transport nach Europa bestimmt ist, durch diese unwirtlichen Regionen. In Mali halten korrupte Staatsbeamte und (jedenfalls in der Vergangenheit) auch Spitzenpolitiker, im Nachbarland Algerien einflussreiche Generäle der Armee ihre schützende Hand über diesen lukrativen Markt.

Viele bewaffnete Gruppen und Milizen entstanden in den letzten Jahren vor allem, um diese illegalen Handelsrouten zu kontrollieren und vom störenden Einfluss einer Staatsmacht zu „befreien“. Zwar wurde dazu die Sprache der „nationalen Befreiung von Unterdrückten“ bemüht, etwa durch die von Tuareg im Jahr 2011 gebildete „Bewegung für die nationale Befreiung von Azawad“ – den MNLA.

Die Realität ist jedoch weniger idyllisch. Politische Ideale spielen dabei eine geringe, mehr oder minder mafiöse Geschäftsinteressen hingegen eine Hauptrolle. Im Jahr 2012 waren die auf ethnischer Basis rekrutierten Tuareg-Aktivisten des MNLA eine taktische Allianz, eine Art Joint Venture mit stärker ideologisch motivierten Dschihadisten-Gruppen eingegangen. Zusammen kontrollierten sie einige Monate lang den Norden Malis, bis zur französischen Intervention.

Diese wurde ab Sommer 2013 heruntergefahren, mit der Begründung, durch die Präsidentenwahl vom 11. August letzten Jahres habe das Land ja wieder eine legitime Regierung gefunden und könne sich nun stabilisieren. Damals wurde der Präsidentschaftsbewerber Ibrahim Boubacar Keïta, genannt „IBK“, mit über 77 Prozent der Stimmen gewählt: Viele Malierinnen und Malier verknüpften mit ihm die Hoffnung auf einen echten Neuanfang.

Korruption: IWF, EU und USA erklären ihre Verärgerung

Heute dominiert die Desillusionierung. Von der Regierung und generell von der Politik erwarten die meisten Menschen in Mali heute keinerlei Verbesserung ihrer, etwa wirtschaftlichen und sozialen, allgemeinen Lage. Der vor einem Jahr ins Amt gekommene Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keita („IBK“) hat die allermeisten Menschen trotz anfänglicher Hoffnungen enttäuscht.

Zwar ergab eine Umfrage Anfang August d.J., dass angeblich 86 Prozent mit seiner Amtsführung mehr oder minder zufrieden seien. Aber bei Umfragen ist bekanntlich Vorsicht geboten, und im Alltag trifft man kaum einen Menschen, der sich im Privaten positiv über ihn äußern würde. „Versager“ und „Lügner“ sind häufiger wiederkehrende Titulierungen. Und die negativen Presseberichte häufen sich, rund um den ersten Jahrestag seiner Amtseinführung vom 4. September 2013, positive Artikel sind rar (siehe auch hier)

In den letzten Monaten sorgte der Ankauf eines zweiten Präsidentenflugzeugs vom Typ Airbus für rund dreißig Millionen Dollar, nachdem „IBK“ mit der (vorhandenen) bisherigen Präsidentenmaschine unzufrieden war, für einen Skandal. Da es über die beim Kauf eingeschalteten Mittelsmänner zu massiver Korruption und zum Abzweigen von Kommissionszahlungen kam, erklärte der IWF seine Verärgerung, gefolgt von der Europäischen Union und der US-Administration.

Alle drei stellten ihre Unterstützungszahlungen für den malischen Staatshaushalt ein, der deswegen noch im September zur Zahlungsunfähigkeit der öffentlichen Hand zu steuern droht. Die Löhne und Gehälter waren günstigerenfalls nur noch bis zum Jahresende gesichert, wenn nichts Einschneidendes passiert.

Zum Ende dieser Woche erklärte der IWF allerdings, seine „Kooperation mit Mali“ wieder aufzunehmen, und die Insitution scheint zur Auffassung gekommen zu sein, ihre Machtdemonstration sei nunmehr ausreichend.

Mali ist nach wie vor strukturell von „Kreditgebern“ und ihren Konditionen abhängig, und dieses Verhältnis hat sich in jüngster Zeit noch verschärft. Im Umfeld der französischen militärischen Intervention im vergangenen Jahr hatten die „Freunde Malis“ im Mai 2013 in Brüssel Unterstützungszahlungen in Höhe von 3,3 Milliarden Euro verkündet. Damals waren sie der malischen Bevölkerung allgemein als einseitige Hilfszahlungen angekündigt worden, doch hinterher stellte sich heraus, dass ein Teil davon konditionierte Kredite sind.

Eine der Hauptkonditionen ist, dass Mali die Abzahlung der bisherigen Auslandsschulden zur Priorität erheben soll, auf Kosten von Haushaltsposten auch etwa für Bildung oder Gesundheitswesen. Frankreich, das sich 2013 als großzügiger Gönner aufspielte, kombinierte im Nachhinein etwa 75 Prozent Hilfszahlungen mit 25 Prozent konditionierten Krediten.

Verhandlungen mit bewaffneten Gruppen in Algier

Am Montag, den 1. September 14 wurden die Verhandlungen in Algier wiederaufgenommen, bei denen vierzig Delegierte die malische Staatsmacht sowie „Organisationen der Zivilgesellschaft“ (etwa Zusammenschlüsse von NGOs) einerseits, die Mehrzahl der bewaffneten Gruppen andererseits vertreten. Al-Qaida in Nordafrika, „AQMI“, ist zwar bei den Verhandlungen nicht dabei, obwohl die vorwiegend aus Algeriern zusammengesetzte Organisation bei der Besetzung der Nordhälfte Malis oder „Azawads“ 2012 durch Tuareg-Sezessionisten im Verbund mit Dschihadisten aktiv mitwirkte.

Aber die auf ethnischer Basis zusammengesetzten Bewegungen von nordmalischen Tuareg (MNLA) sowie Arabern (MAA) einerseits sowie die „Bewegung für die Einheit von Azawad“ (HCUA), welche eher die Islamisten vor allem der malischen Bewegung Ansar ed-Din (Anhänger der Religion) als zivile Vorfeldorganisation repräsentiert, sind in Algier präsent.

Nach einer ersten Verhandlungsrunde, die Anfang August dieses Jahres abgeschlossen wurde, wurde nunmehr die zweite von insgesamt drei Runden eröffnet. Nach den allgemeinen Grundsatzerklärungen soll nunmehr über erste Details verhandelt werden. Die Forderungen der bewaffneten Gruppen liegen auf dem Tisch, während die malische Staatsseite erklärt hat, zwei Dinge seien „unverhandelbar“: die politische Einheit der Republik sowie deren laizistischer Charakter.

Am 28. August stritten sich die bewaffneten Gruppen bei einem gemeinsamen Treffen in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou darüber, ob diese Rahmenbedingungn akzeptabel seien. Während Tuareg-Gruppen eher auf der Forderung nach einer Regionalisierung Malis insistieren, erklärte ein Teil der Islamisten die Vorabbedingung einer Aufrechterhaltung der Laizität für unakzeptabel. Dennoch einigten die sieben in Ouagadougou vertreteten Gruppen – unter ihnen HCUA, MAA und MNLA – sich am Ende darauf, sie wollten bei den Verhandlungen in Algier „mit nur einer Stimme sprechen“.

Die Tuareg-Sezessionisten des MNLA als stärkste bewaffnete Formation fordern insbesondere die Eingliederung von 3.000 Mann ihrer Truppen in die malische Armee sowie 100 Generalsposten, was eine Verdoppelung der bestehenden Generalität erfordern würde. Zudem soll die Einrichtung von Militärzonen verhandelt werden, was den aus dem MNLA rekrutierten Armeeeinheiten bestimmte Zonen reservieren würden.

Ein ähnlicher Zustand bestand ab dem letzten, 2006 in Algier geschlossenen Abkommen mit bewaffneten Gruppen aus Nordmali und bis zum akuten Ausbruch der Krise im Winter 2011/12, als der MNLA mit aus dem libyschen Bürgerkrieg importiertem Militärgerät den bewaffneten Kampf aufnahm. Aus Sicht der Oberklassenfamilien der Region würde dies jedoch vor allem ungehinderte – auch „illegale“ – Geschäfte garantieren.

Umstrittene Gegenleistungen an bewaffnete Gruppen

Gegenüber der Bevölkerung in Südmali, die die hellhäutigeren Bewohner Nordmalis vor dem historischen Hintergrund als „Sklavenhalter“ wahrnimmt – was sie zum Teil noch sind, die definitive Abschaffung der Sklaverei in Mali steht noch aus, die Regierung kündigte eine Gesetzesinitiative dazu an -, wird dies jedoch nur schwerlich durchzusetzen sein.

Bereits die jüngst als Gegenleistung an die bewaffneten Gruppen erfolgte Freilassung von 2013 festgenommen Akteuren der Besetzung Nordmalis vom Jahr zuvor, etwa des ehemaligen islamistischen Polizeichefs von Gao und später des islamistischen Scharfrichters von Timbuktu, Houka Houka Ag Alfousseyni – er zeichnete für Amputationsstrafen verantwortlich und kam am 15. Juli zusammen mit einundvierzig weiteren Häftlingen frei – wurde von Vielen als „Provokation“ erlebt. Zwanzig Menschenrechts- und zivilgesellschaftliche Organisationen wandten sich in den letzten Augusttagen dieses Jahres deswegen in einer Presseerklärung gegen die „Straflosigkeit“ für solche Kriminelle. Und diese Proteste gehen derzeit weiter.

Der Versuch der Regierung, unter Druck und Vermittlung der Nachbarländer Algerien und Burkina Fasos sowie Frankreichs – die Pariser Regierung unterhält Verbindungen besonders zum MNLA, dessen „Unabhängigkeitserklärung“ im April 2012 von einem Pariser Fernsehstudio (,France24‘) aus verlesen wurde – zu einem Abschluss zu kommen und zugleich für die Bevölkerung akzeptable Ergebnisse zu liefern, ähnelt derzeit einer Quadratur des Kreises.

Die Regierung hofft, dem Dilemma zu entkommen, weil die bewaffneten Gruppen durch das Aufkommen von „Dissidenten“formationen geschwächt werden könnten. Sowohl der MNLA als auch der MAA erlebten je eine Abspaltung, und mit der „Selbstverteidigungsgruppe der Tuareg“ (GATA) tauchte eine neue Gruppierung auf. Die älteren bewaffneten Formationen wehren sich jedoch gegen diesen neuen Konkurrenten und erklären, wer 2012 nicht beim bewaffneten Kampf dabei gewesen sein, dürfe nicht bei den Verhandlungen sitzen.

Der jüngst in Ouagadougou geschlossene Kompromiss dürfte jedoch dafür sorgen, dass die bewaffneten Gruppierungen stärker an einem Strang ziehen. Die Staatsmacht verfügt hingegen, wie Professor Issa Ndiaye vom zivilgesellschaftlichen „Bürgerforum“ (Forum civique) in Bamako gegenüber dem Verfasser dieser Zeilen erklärte, über „keine Strategie bei den Verhandlungen“.

Die Suche nach einer Lösung dürfte sich also noch schwierig gestalten, auch wenn die malische Regierung plant, bis zum Jahresende 2014 ein Abkommen in ihrer Hauptstadt Bamako zu unterzeichnen. Neben der sozialen Situation dürfte auch der Dauerbrenner „Umgang mit dem Norden“ noch zu Protesten, inclusive auf der Straße, Anlass geben.

Als Bauernopfer droht unterdessen der amtierende Premierminister von Präsident „IBK“, Moussa Mara – der zweite Regierungschef seit der Präsidentenwahl vor einem Jahr -, in nächster Zukunft abgelöst zu werden. Die Bevölkerung dürfte dies kaum beruhigen.

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