Yabi: „Die gesamte Sahelzone ist äußerst fragil!“

DW Interview

Die International Crisis Group warnt: Eine Krise wie in Mali könnte sich auch in anderen Staaten der Sahelzone wiederholen. Besonders anfällig ist Niger, sagt Analyst Gilles Yabi im DW-Interview.
DW: Herr Yabi, in einem kürzlich veröffentlichten Bericht der International Crisis Group, schreiben Sie, dass Niger die nächste „Schwachstelle“ in der Sahelzone werden könnte. Ist das eine wirklich neue Entwicklung oder fällt der Fokus nur aufgrund der jüngsten Ereignisse in den Nachbarstaaten Nigeria und Mali auf das Land?

Gilles Yabi: Ich denke nicht, dass es ein neues Phänomen ist. Die gesamte Sahelzone ist sehr fragil. Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass das, was sich in Mali abgespielt hat, auch in anderen Ländern der Region passieren kann. In Mali gab es nationale Probleme, aber auch die benachbarten Länder hatten viel Einfluss. Ich denke da an die Krise in Libyen, nach der viele Waffen in der Region in Umlauf waren und viele Kämpfer bereit standen – und das hat sich dann wiederum auf Mali ausgewirkt. Wir machen in unserem Bericht deutlich, dass sich Niger in einer ähnlich ungeschützten Position befindet wie Mali. Wegen seiner südlichen Landesgrenze zu Nigeria ist Niger außerdem anfällig für Angriffe von Boko Haram.

Inwiefern sind denn Terrorgruppen wie Boko Haram aus Nigeria und Al-Kaida im Islamischen Maghreb (AQMI) in der Sahelregion miteinander vernetzt?

Bisher gibt es nur wenige Beweise für die Vernetzung der einzelnen islamistischen Gruppen miteinander und dafür, wie sie in diesem großflächigen Gebiet miteinander arbeiten. Es gibt Berichte, dass AQMI unter anderem Mitglieder von Boko Haram in der Herstellung von Sprengstoff unterweist.

Beobachten Sie speziell im Niger eine zunehmende Radikalisierung unter den Islamisten?

Es ist sehr wichtig, zwischen Radikalisierung und Terrorismus zu unterscheiden. Das eine kann das andere natürlich verstärken. Das ist auch in Mali passiert, wo wir bereits eine radikalisierte Bevölkerung hatten, die es Terroristen leichter machte, sie für ihre Zwecke zu gewinnen. Im Niger ist die Sachlage etwas anders. Dort geht es nicht allein um die Radikalisierung der Religion, sondern die Menschen sind unzufrieden mit der Regierungsführung. Es kommt also eine politische Komponente hinzu. Niger hat eine sehr einflussreiche muslimische Gemeinschaft. Es gibt einige sehr radikale Gruppierungen, die aber auch starke politische Forderungen an den Staat haben, der vielen sozialen Leistungen nicht nachkommt.

Was sollte die Regierung des Niger Ihrer Meinung nach tun, um eine Verschärfung der Situation zu vermeiden?

Für die Sahel-Staaten ist es wichtig, eigene Kapazitäten aufzubauen. Niger hat bereits eine Strategie für Sicherheit und Entwicklung entworfen. Das ist auch gut und richtig. Aber man braucht auch die Kapazitäten, diese Maßnahmen um- und durchzusetzen. Wir sind uns allerdings nicht sicher, ob Niger diese Kapazitäten hat. Die Regierung kann sich nämlich nicht nur auf die Hilfe von Außen verlassen.

Wie verhält sich die internationale Gemeinschaft, um die Stabilität in Ländern wie Niger zu wahren?

Ein positiver Effekt der Krise in Mali ist, dass sich die internationale Gemeinschaft nun mehr für die Sahelregion interessiert. Es gibt eine UN-Mission in Mali, die sicher noch eine Weile dort bleiben wird. Aber die betroffenen Länder und die internationale Gemeinschaft haben erkannt, dass die Sahelregion als Ganzes betrachtet werden muss, und nicht nur Land für Land. Damit ist die Sicherheitslage in Niger stark in den Fokus gerückt. Die Franzosen beobachten das sehr genau, teilweise aus strategischem Interesse. Auch die USA sind vor Ort.

In unserem Bericht weisen wir auch darauf hin, dass für Niger nicht nur die Sicherheitslage von Bedeutung ist. Das Land bleibt sehr arm, Ressourcen und Nahrungsmittel sind knapp, die sozialen Probleme groß. Es ist also wichtig, dass für Sicherheitsmaßnahmen nicht sämtliche Ressourcen verbraucht werden.

Gilles Yabi ist Projektleiter der Nichtregierungsorganisation International Crisis Group in Westafrika. Das Interview führte Sella Oneko.

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